Agnetheln

Nordansicht der Kirchenburg in Agnetheln (2012).

Die Kleinstadt  Agnetheln, (rum.: Agnita; ung.: Szentágota, früher auch Ágotafalva) liegt im Harbachtal zwischen Hermannstadt und Schäßburg, etwa 60 km von Hermannstadt entfernt.
2004 lebten in Agnetheln ca. 12.100 (2007: 11320) Menschen, davon etwa 500 in den zugehörigen Gemeinden Käbesch (rum.: Coveş) und Roseln (rum.: Ruja; ung.: Rozsonda).
Die Gründung der Siedlung geht ins 12. Jahrhundert zurück; der Ort lag anfangs wahrscheinlich im Altbachtal und ist vermutlich nach dem ersten Mongolensturm 1241 an den Harbach verlegt worden.
Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes datiert aus dem Jahr 1280 und betrifft den Verkauf von Grund und eines Mühlenanteils in Probstdorf des Jakob von Gald an Gerlacus de „Pulcromonte“ (Schönberg), Henricus de „sancta Agatha“ und Theodoricus, den Sohn Herbords. Die Urkunde ist nicht im Original erhalten, aber in einer beglaubigten Abschrift von 1453 überliefert.
Agnetheln gehörte früher zum Schenker Stuhl. Gräf Johann von Agnetheln, dessen Familie im 14. und 15. Jahrhundert großen Einfluss innerhalb der „Sieben Stühle“ hatte, erwirkte 1376 von König Ludwig I. die Verleihung des Jahrmarktrechtes an Agnetheln (122 Jahre früher als Mediasch).
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden des Öfteren Agnethler Gräfen als Vertreter des Schenker Stuhles als Teilnehmer an Versammlungen der „Sieben Stühle“ genannt.
Am 15. August 1448 zog der Gubernator Johannes Hunyadi durch Agnetheln. Bei seinen Vorbereitungen zu einem Feldzug gegen die Türcken führte ihn der Weg von Reps über Henndorf und Agnetheln nach Hermannstadt.
1466 erwarb Agnetheln durch Vermittlung Magister Ladislaus, des Notars der königlichen Kanzlei Matthias Corvinii, zwei bedeutende Privilegien: Der erste Freibrief übertrug dem Ort die Blutgerichtsbarkeit, die bis dato im Schenker Stuhl nur Großschenk als Stuhlsvorort besaß. Der zweite Freibrief sicherte den Agnethlern zu, dass, im Falle eines Heeresaufgebots für den König, die Hälfte der wehrfähigen Männer für die Verteidigung der Kirchenburg zurückbleiben durfte.
Aus dem Jahre 1488 ist bekannt, wie groß die Bevölkerung des Ortes war: Es wohnten damals in „Agnetental“ 187 Wirte, 1 Schulmeister, zwei Marktdiener, neun Hirten und 10 Nonnen. Damit war Agnetheln zu der Zeit der größte Ort des Schenker Stuhles.
Bezeichnend ist das Verhältnis Agnethelns zu Großschenk. In dem Wettstreit um die Vorortschaft setzt sich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts trotzdem Großschenk durch. Nur für die Zünfte erreicht Agnetheln 1635 von der Nationsuniversität, dass der Ort zum Zunftort für alle Gewerbe - mit Ausnahme der Wagner - erklärt wird, so das das Zunftrecht den Ausdruck gebrauchen konnte: „Soweit sich Großschenker Stuhl und Agnethler Gebiet und Gericht ersträcket.“
Der Name der Ortschaft „Agnetheln“ geht der Legende nach auf die Heilige Agnetha zurück. Sie soll eine von drei Töchtern eines Grafen gewesen sein, der eine Burg auf dem Berg Lempesch in Richtung Schönberg besaß. Wahrscheinlich ist, dass die örtliche Kirche eine Verbindung zur Heiligen Agatha von Catania (Schutzpatronin?) hatte. Dieses Wissen wurde später von der Legende überlagert.
Mit dem Namen „Agnetlin“ ist der Marktflecken als bedeutender Ort auf der Siebenbürgenkarte (Basel 1532) des Johannes Honterus eingezeichnet. Über dem Ortsnamen sieht man eine Stadt- oder Kirchenburgdarstellung mit drei Türmen, von denen der mittlere zu beiden Seiten des Turmhelms zwei kleine Türmchen aufweist - das Symbol der Blutsgerichtsbarkeit, die Agnetheln 1466 verliehen wurde. Diese Darstellung findet sich später auch auf einer Karte von Sebastian Münster, Basel H. Petri 1552.
1409 wurde auf den Fundamenten einer turmlosen Basilika eine gotische Saalkirche errichtet und im 16. Jahrhundert nach und nach mit einem dreifachen Mauerring und vier Verteidigungstürmen umgeben. Den Handwerkszünften oblag bereits im 15. Jahrhundert die Verteidigung der Anlage. Im Norden befindet sich der Eingang durch den Fassbinderturm, im Osten liegt der Schmiedeturm, im Süden erhebt sich der Schneiderturm und im Westen der Schusterturm.
Der Barockaltar in der Kirche stammt aus dem Jahr 1650. Es ist ein Doppelflügelaltar mit einer Abendmahlsdarstellung in der Predella. Das Mittelbild stellt die Kreuzigung Jesu mit Maria und Johannes dar. Die Bilder auf dem geschlossenen Altar zeigen Passionsszenen. Der offene Altar ist von vier Tafeln geschmückt: Händewaschung des Pilatus, Vorbereitungen zur Kreuzigung, Kreuzabnahme, sowie die Auferstehung Jesu.
Die Orgel wurde 1850-51 von Karl Schneider aus Kronstadt gebaut.
Am 8. Juli 1769 wurden durch ein großes Feuer etwa zwei Drittel der Gebäude im Ort, besonders die am rechten Harbachufer, zerstört.
1845 wurde die äußere Ringmauer der Kirchenburg wieder abgetragen, 1867 die Vorratskammern im inneren Ring und 1870 die restlichen Teile der Mauern, so dass die Türme nun alleine stehen. Mit dem abgetragenen Material wurde eine neue, größere Schule gebaut und 1867 - zur Zeit, als Bischof Georg Daniel Teutsch noch Pfarrer in Agnetheln war - eingeweiht.
Im Jahr 1780 wurde die erste orthodoxe Kirche auf einem Berg am Rande der Ortschaft errichtet.
Nach Aufhebung der Zünfte 1872 wurden in Agnetheln vor allem Schuh- und Lederwaren gefertigt. Darüber hinaus spielt die Landwirtschaft bis heute eine wichtige Rolle. Ende des 19. Jahrhunderts gründeten die Sachsen erste Industrieunternehmen in der Stadt; es wurden zwei Spiritusfabriken, eine Essigfabrik und eine Leder- und Schuhfabrik in Betrieb genommen, sowie eine Genossenschaftsbank gegründet, die Kleinunternehmer unterstützte. Seit 1926 wird Agnetheln mit Elektrizität versorgt, was das Wirtschaftsleben weiter förderte. 1876 wurde Agnetheln nach der Aufhebung des Königsbodens und einer Verwaltungsneuordnung dem Großkokler Komitat zugeordnet. Der Ort erhielt ebenso wie Großschenk einen Stuhlrichtersitz.
Im Ersten Weltkrieg fielen 50 Sachsen aus Agnetheln. Zu ihrem Gedenken wurde im Hof der evangelischen Kirche ein Denkmal aufgestellt.
Durch den Anschluss an Rumänien 1918 verloren die sächsischen Bürger Agnethelns weitere Rechte. Der Gemeindeboden, gemeinschaftlich genutzte Weiden und Wälder, wurden enteignet und es fehlten somit Mittel zur Finanzierung der deutschen Schule. Die deutschstämmigen Einwohner wurden zunehmend aus der Administration gedrängt und viele Ämter aufgrund neuer Gesetze mit Rumänen besetzt.
Im Zweiten Weltkrieg sind 106 Agnethler im Kriegseinsatz gefallen oder werden vermisst. Im Januar 1945 wurden 268 Frauen und Männer ab dem 16. Lebensjahr aus der deutschen Bevölkerung zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. 16 von ihnen starben fern der Heimat an Hunger und Krankheit.
Nach 1948 wurden alle Bürger enteignet, der Besitz verstaatlicht oder aufgelöst, und die deutschen Bewohner teilweise aus ihren Häusern vertrieben.
Durch die vom kommunistischen Staat forcierte Industrialisierung verzeichnete Agnetheln in den folgenden Jahren wiederum einen starken Zuzug von Arbeitskräften aus der Umgebung, darunter auch viele Sachsen. Positiv wirkte sich der Zuzug auf die Stärke der deutschen Schulklassen aus. Trotz einiger Schwierigkeiten wurde im Herbst 1953 auch eine Gymnasialstufe eingerichtet.
Viele Agnethler waren bis 1990 in drei größeren Industriebetrieben beschäftigt. Die Wende hat nur eine Lederfabrik überlebt; alle anderen Fabriken wurden nach 1990 von den privaten Eigentümern stillgelegt.
Agnetheln hat somit seine Bedeutung als kleines Industriezentrum des Harbachtales mehr und mehr verloren. Revitalisierungsprojekte sind bis heute ohne bedeutsamen Erfolg geblieben. Weil es zu wenige Arbeitsplätze gibt, sind viele Agnethler gezwungen, abzuwandern. Diese Entwicklung schlägt sich in einer rückläufigen Bevölkerungszahl nieder.
Ein Großteil der Siebenbürger Sachsen wanderte nach 1990 nach Deutschland aus. Trotz dieser Entwicklung gibt es an den Schulen Agnethelns noch deutschsprachigen Unterricht - heute für mehrheitlich rumänische Schüler. Die Zahl der deutschstämmigen Einwohner ist mittlerweile auf unter 50 gefallen.
Durch Agnetheln führte seit 1898 zunächst nach Schäßburg, dann ab 1910 auch nach Hermannstadt die Schmalspurbahn, genannt „Wusch“, die bis in die 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts die drei Orte miteinander verband. 1965 wurde die Verbindung nach Schäßburg, 2001 auch die nach Hermannstadt stillgelegt.
Agnetheln zeichnet sich zudem durch einen alten Fasnachtsbrauch aus, den so genannten „Urzelnlauf“. Am Zunfttag, dem ersten Mittwoch nach dem „Geschworenen Montag“ (Montag nach dem Dreikönigstag) begeben sich die Urzeln in „Parten“ (10-15 Mann) mit Peitschenknallen und Schellengeläut durch den Ort, um dann beim „Ladenforttragen“ (Übergabe der Zunftlade) zu einem Zug zusammenzufinden, der bis zum Abend durch Regeln festgelegten Schabernack treibt. Dabei sind die Urzeln in einen hellen Leinwandanzug gekleidet, der vollständig mit gleichlangen, dunklen Stoffstreifen benäht ist und entfernt an einen Bären erinnert (Zottelgewand). Dazu trägt er eine Maske. Zu einem Urzel gehört auch die Krapfenquetsche, mit der Krapfen an die Zuschauer, besonders an die Kinder, verteilt werden.
Zum ersten Mal wird im Jahre 1689 der „Mummenschanz der Zünfte“ in Agnetheln erwähnt. Zwischen 1942 und 1968 gab es keinen Urzelnlauf; erst 1969 wurde er wieder erlaubt und fand bis 1990 in Agnetheln statt. Außerhalb Siebenbürgens wurde die Tradition von ausgewanderten Sachsen zum ersten Mal 1965 in Sachsenheim, zwischen Heilbronn und Stuttgart, wieder belebt.
Nach 1990 gab es am 28. Januar 2007 zum ersten Mal wieder einen Urzeln-Umzug in Agnetheln. Nicht alle waren damit einverstanden, dass dieser sächsische Brauch von der rumänischen Bevölkerung Agnethelns weiter getragen und jedes Jahr gefeiert wird.
Zu besichtigen gibt es in Agnetheln die evangelische Kirche aus dem 15. Jahrhundert, eine Steinburg oberhalb der Stadt, die rumänisch-orthodoxe Sankt-Nikolaus-Kirche, die zwischen 1795 und 1797 erbaut wurde, sowie das Harbachtalmuseum im „Breckner Haus“ im Stadtzentrum. In dem im barocken Stil erbautes Gebäude, wird unter anderem ein Gesamtwerk von Erasmus von Rotterdam ausgestellt. Das Museum wurde 1952 von Dr. Erhardt Andree gegründet. Zu den Museumsbeständen zählen Erzeugnisse Agnethler Betriebe, z.B. der Lederwarenfabrik, wie auch zahlreiche Zeichnungen, Skizzen und Aquarelle und Gemälde des Agnethler Malers Michael Barner (1881-1961).
Aus Agnetheln stammen auch die Malerin Trude Schullerus (1889-1981) und der Historiker und Dramatiker Christian Friedrich Maurer (1847-1902).

Quellen & Literatur

· Aus der Vergangenheit und Gegenwart des königl. freien Marktes Agnetheln, Hermannstadt 1900.

· Friedrich Rosler, Agnetheln in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, Kulturhistorische Bilder,
  Heilbronn 1990 (Nachdruck).

· Hermann Fabini,   Atlas der siebenbürgisch-sächsichen  Kirchenburgen und  Dorfkirchen,  Band 1/2,
  2. überarbeitete Auflage, Hermannstadt 1999.

· Gernot Nussbächer,  Aus Urkunden und Chroniken, 2. Band, Bukarest 1985, S. 25-31.

· Franz Friedrich Fronius, Das Urzel-Laufen in Agnetheln, in: Korrespondenzblatt des Vereins für sie-
  benbürgische Landeskunde (K5), Hermannstadt 1882, S. 17-23.