Conrad Haas

Conrad Haas wurde in Dornbach bei Wien geboren; das genaue Geburtsdatum ist unbekannt. Haas gilt als Raketenpionier; er ist der erste bekannte Konstrukteur eines Vorläufers der Mehrstufenrakete.
Wahrscheinlich ist Conrad Haas 1551 in Diensten Kaiser Ferdinand I. und im Gefolge der kaiserlichen Truppen unter General Giovanni Battista Castaldo nach Siebenbürgen und Hermannstadt gekommen. In Hermannstadt übernahm er das Zeughaus und war somit für die Verteidigung der Stadt zuständig. Er veranlasste alsbald den Bau eines neuen Zeughauses und einer neuen Gusshütte, wofür er sich auch mit seinem privaten Vermögen einsetzte. 1562 erstattet ihm die Stadtverwaltung seine Auslagen, wodurch gleichzeitig erwiesen ist, dass Conrad Haas die Stadt nicht mit dem Rückzug der kaiserlichen Truppen 1556 aus Siebenbürgen verlies, sondern in Hermannstadt blieb. 1557 wurde er von Königin Isabella nach Klausenburg gerufen, 1571 weilte er in Bistritz und 1572 in Weißenburg; in anderen siebenbürgischen Städten inspizierte er regelmäßig die unterstellten Büchsen- und Artilleriemeister.
Die Wehrhaftigkeit der Siebenbürger Sachsen ist im 16. Jahrhundert im Wesentlichen der guten Ausrüstung und technischen Überlegenheit zu verdanken, die durch die Unterstützung v.a. von Hermannstadt für den österreichischen Kaiser gefördert wurde. Kaiser Ferdinand I. stationierte 1551 in Hermannstadt schwere Geschütze, die zum Teil auch außerhalb der Stadt zur Unterstützung von Truppen eingesetzt wurden. Die Siebenbürger Sachsen waren zudem lange Zeit die Einzigen in Siebenbürgen, die Feuerwaffen in großer Stückzahl besaßen.
Aus dem von Haas zwischen 1553 und 1556 geführten Verzeichnis (Varia III 112) geht hervor, welche verteidigungstechnische Ausrüstung in Hermannstadt vorhanden war: das Ferdinand’sche Geschütz umfasste 22 große Geschütze mit Rädern, hinzu kamen 137 große Hakenbüchsen, 108 kleinere und 255 Handhakenbüchsen; eingelagert waren über 30000 Schuss Munition und über 400 Fass Pulver.
In seinem „Kunstbuch“ (drei zusammen gebundene Handschriften) das zwischen 1529 und 1569 entstanden ist und lange Zeit im Hermannstädter Staatsarchiv aufbewahrt wurde bis es 1962 vom Ingenieur und Technikhistoriker Doru Todericiu „wiederentdeckt“ wurde, beschreibt Haas „mancherley Feuerwerckerey“. Es geht dabei besonders um Pulvererzeugung, Geschütze und Kriegsmaschinen. Illustriert ist das Werk mit insgesamt 203 zum Teil mehrfarbige Zeichnungen und Abbildungen.
Bereits im 19. Jahrhundert hatten Historiker wie G. Daniel Teutsch (1857), Friedrich Müller (1864), oder Josef Trausch in seinem Schriftstellerlexikon von 1870 von der Existenz der Handschriften berichtet, sie aber keiner kritischen Würdigung unterzogen. Die Handschriften wurde im Hermannstädter Staatsarchiv unter der Signatur „Varia II 374“ verzeichnet. Ihnen war noch ein Artillerieatlas beigebunden. Heute befindet sich in Hermannstadt nur noch ein Faksimile des Kunstbuches; das Original wird im Bukarester Nationalarchiv (Ms. 2286) aufbewahrt.
Der erste Teil des Haas`schen Kunstbuches ist mit „Feuerwerksbuch“ betitelt und umfasst 36 Blätter. Dies ist das Werk von Hans Haasenwein, einem aus Landshut stammenden Büchsenmeisters und Vorfahren des Conrad Haas. Seine Aufzeichnungen stammen aus der Zeit zwischen 1417 und 1459 und stellen eine Monographie über das Kriegshandwerk mit Fokus auf Kanonen und Schießpulver dar. Die Abhandlung ist die älteste bisher bekannte Fachschrift in deutscher Sprache, und die Kapitel über die Kriegskunst sind die älteste Übersetzung aus der militärwissenschaftlichen Arbeit des römischen Strategen Flavius Vegetius Renatus (4. Buch „Von der Ritterschaft“).
Die Blätter 37 bis 110 bilden den zweiten Teil des Werkes und stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Handschrift kann keinem bestimmten Autor zugeordnet werden. Das Werk ist als „Kunstbuch“ benannt und stellt eine umfassende pyrotechnische Abhandlung jener Zeit dar. Die Themen Kriegsführung, Kriegsmaschinen und Waffentechnik werden behandelt und durch zahlreiche Abbildungen ergänzt.
Der dritte Teil des zusammengefügten Buches (Blätter 111 bis 392) stammt von Conrad Haas selbst. Haas hat Feuerwerktechnik aus anderen Werken seiner Zeit gesammelt, aufgeschrieben und skizziert. Sein großer Verdienst sind aber die eigenen Erfindungen und Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Raketentechnik, die er in seiner Handschrift mit den eigenen Initialen (Majuskeln C und H) gekennzeichnet und oftmals auch mit Datum versehen hat.
Oft sind im Abstand von nur wenigen Blättern verschiedene Anfertigungsjahre aufgeführt, z.B. auf Blatt 207 bis 209 das Jahr 1551 und dann auf Blatt 211 bis 222 das Jahr 1536, was vermuten lässt, dass Haas lange Jahre an seinen Ideen gearbeitet und damit experimentiert hat, bevor die Niederschrift - wahrscheinlich gegen Ende der 60er Jahre des 16. Jahrhunderts - erfolgte.
Auf Blatt 111 beginnt Haas seine Aufzeichnungen mit folgenden Worten:
Diese Kunst der Büchsenmeisterey vnnd was zum Geschoß gehört seind geschrieben, gerissen vnnd gebraucht, auch probiert worden bei Zeiten des hochlöblichen Kaysers Caroli Quinti vnnd des allerdurchleuchtigsten, großmächtigsten Kaysers vnnd Königs Ferdinandi … Durch einem ehrsam gelehrten Büchsengießer vnnd Meister Namen Connrad Haas von Dornbach bei Wien in Oesterreich, gewesen der Röm. Vnnd Ungarisch königl. Mst. Zeugwart vnnd Zeugmeister in Ungarn uns Siebenbürgen. Hat dies Kunstbuch angefangen Jahr 1529 vnnd vollendet Jahr 1569.
Von den 282 Blättern des Conrad Haas befassen sich gut zwei Drittel mehr oder weniger ausführlich mit Raketentechnik zum Bau von Feuerwerk oder Waffen. Als wichtiger Raketenentwickler, und besonders als Entwickler der Drei-Stufen-Rakete, galt lange Zeit der rund 100 Jahre später wirkende polnische Waffenkonstrukteur Casimir Simienowicz. Durch die Wiederentdeckung der Haas’schen Handschrift zeigt sich, dass Haas viele der Erfindungen Simienowicz vorwegnahm.
Auf Blatt 235 erklärt Haas z.B. das Wirkungsprinzip einer Rakete: „Rackett ist das geringste Feuerwerk gemacht aus Pulver, Salitter, Schwefel und Kohlen, hart eingeschlagen in Papier soll hoch in die Lüfte fahren, eine schöne Feuer von sich geben, also seine Wirkung in Luft verbringen und darin ohne Schaden verschwinden. … Sie sind allen anderen Feuerwerken eine Zierde und auch ein trieb, und sind fürnehmlich in dieser Art, dass sie sich ihren eigenen Feuer in die Luft erheben, bedarfen keines Schießens oder eines anderen Triebs.“ (zitiert nach Hans Barth, Conrad Haas, S. 37-38).
Haas beschreibt in seiner Handschrift eine Vielzahl von Raketentypen, so z.B. eine Bündelrakete und den Aufbau einer Mehrstufenrakete. Er beschreibt auch die Anordnung der Treibstoffsätze bei Stufenraketen mit verschiedenen Treibstoffmischungen (u.a. mit Flüssigtreibstoff). Bei seinen Raketen setzte Haas glockenförmigen Düsen und deltaförmige Stabilisierungsflossen ein.
Eine mathematisch-physikalische Erklärung, warum Mehrstufenraketen den einteiligen überlegen sind, folgte erst Anfang des 20. Jahrhunderts, u. a. durch Hermann Oberth. Die von Oberth aufgestellte „Raketengrundgleichung“ zeigt, wie entscheidend das Gewicht des Raketenmaterials für die Beschleunigung ist. Wird ein Treibstofftank, nachdem der Inhalt jeweils verbraucht ist, abgeworfen, muss dieses Gewicht nicht mehr mit beschleunigt werden - eine wichtige Voraussetzung zur Überwindung der Erdanziehung in der Raumfahrt.
Welchen Einfluss Haas auf andere Waffentechniker seiner Zeit hatte, lässt sich nicht umfassend einordnen, da ein kritischer Vergleich der wichtigsten Arbeiten noch aussteht. Zur gleichen Zeit gibt es viele andere Raketenpioniere, z.B. Leonhart Frönsberger (1557) oder Johann Schmidlap (1564), die unter Umständen die Werke des jeweils anderen kannten.
Wann das Wirken des Conrad Hass endgültig aufgehört hat, lässt sich nicht eindeutig belegen. In den meisten Biographien wird sein Todesjahr mit 1579 angegeben.
Als Zeugwart und Büchsenmeister entwickelte Conrad Haas zahlreiche Ideen zum Bau von Waffen, mit denen man töten konnte, und setzte diese in seinem Dienst sicherlich auch um. Seiner humanistischen Grundhaltung entsprach es aber, die Waffen lieber schweigen zu lassen und den Frieden zu suchen, wie er im letzten Absatz des Kapitels über Kriegsraketen (Blatt 377) eindrucksvoll niederschreibt:

Aber mein Rath, mehr Fried und kein Krieg, die Büchsen do sein gelassen unter dem Dach, so wird die Kugel nit verschossen, das Pulver nit verbrannt, so behielt der Fürst sein Geld, der Büchsenmeister sein Leben; das ist Rath so Conrad Haas tut geben.


Quellen & Literatur

· Hans Barth, Conrad Haas. Leben und Werk in Wort und Bild, Bukarest 1983.

· Doru Todericiu, Preistoria rachetei moderne. Manuscrisul de la Sibiu, Bukarest 1969.

· Joseph Trausch,  Schriftsteller-Lexikon oder biographisch-literärische Denk-Blätter der Siebenbür-
  ger Deutschen, Band II., Kronstadt 1870, S. 48-49.